Chief Economist, Invesco, Henley-on-Thames
Ein Jahr später haben wir die Marke von mehr als 110 aufeinanderfolgenden Monaten einer expandierenden US-Wirtschaft überschritten. John Greenwood hat also gute Aussichten, Recht zu behalten. Doch Anleger bewegt aktuell eine andere Frage: Wie lange geht die Entwicklung weiter und wo stehen wir im Konjunkturzyklus? Angesichts der sich normalisierenden Zinsen in den USA ist das Land offensichtlich weiter im Zyklus als die Eurozone, Grossbritannien und Japan. Ist es also an der Zeit, nach Anlagealternativen zu suchen und sich vom Aktienmarkt zu verabschieden?
„Wer sagt, dass der Konjunkturzyklus vorbei sei, liegt falsch.”
Barbara Lüthi:
Wer war der Held Ihrer
Kindheit, Ihre persönliche
Growth Engine?
John Greenwood
Ich wurde in Afrika geboren,
und mein Held war der
Entdecker Dr. David
Livingstone. Doch letztlich
habe ich selbst weniger Länder
erforscht, sondern eher Ideen.
Aktien nicht überbewertet
Bei EYES ON 2019 traf John Greenwood eine Aussage,
die für einige der Gäste überraschend kam: Auch bei
steigenden Zinsen können die Aktienmärkte weiter
zulegen. Und er präsentierte stichhaltige Argumente
für diese Einschätzung: „Wir hatten eine ähnliche
Situation in den Jahren 1994/95 und 2004/05,
als die Zinsen stiegen. Danach expandierten die
Vermögenspreise noch einige Jahre lang weiter.
Wer sagt, dass der Konjunkturzyklus vorbei sei,
liegt falsch.”
Doch gibt es nicht zahlreiche Experten, die Beweise
für das Gegenteil vorlegen? Es stimmt, dass sie das
zyklisch bereinigte KGV von Shiller auf ihrer Seite
haben; dieses deutet derzeit darauf hin, dass der
US-Aktienmarkt überbewertet ist. Ein Missverständnis,
sagte Greenwood: „Bereinigt um die Zinsen zeigt
das Shiller CAPE, dass Aktien eben nicht über-
bewertet sind“.
Daran anschliessend präsentierte John Greenwood
Einblicke in drei Regionen, die für die Weltwirtschaft
wichtige Wachstumsmotoren sind: die USA, die EU –
einschliesslich Grossbritannien – und die Schwellenländer
mit China.
1. USA: Geht die Expansion weiter?
Auf die Frage der Moderatorin Barbara Lüthi, was
er in der Welt verändern würde, wenn er könnte,
antwortete Greenwood: „Als Ökonom würde ich
den Protektionismus beenden. Wer reguliert ist, ist
eingeschränkt.“ Könnten die aktuellen Handelskonflikte
also zu einer schweren Rezession führen?
Denn auch in der Weltwirtschaftskrise der 1930er
Jahre stiegen die Zölle. Nein, sagte Greenwood.
Er ist überzeugt, dass die wahre Ursache der Krise
von 1931–33 die US-Geldpolitik war. „Handelskriege
sind Wellen an der Oberfläche, verglichen mit dem
zugrunde liegenden Konjunkturzyklus. Wenn Sie Ihre
Anlagestrategie richtig gestalten wollen, müssen Sie
den Zyklus im Blick haben“, so Greenwood.
Möglicherweise geht die wirkliche Gefahr also von
der Inflation aus, da Präsident Trump Steuern
gesenkt und die öffentlichen Haushaltsdefizite
erhöht hat. Auch falsch, sagte John Greenwood.
Ronald Reagan senkte auch die Steuern, doch die
Inflation ging zurück. Warum? „Weil die Geldpolitik
die Fiskalpolitik übertrumpfte und die Steuersenkungen
nichts mit der Inflation zu tun haben“,
so Greenwood. Deshalb ist er nicht besorgt, dass die
Staatsverschuldung die Inflation anheizen könnte.
„Der öffentliche Sektor ist wichtig, aber nur für die Effizienz der Regierung“, sagte Greenwood. „Das
hindert die Wirtschaft nicht daran zu wachsen“.
Er glaubt, dass der Hauptgrund für die starke Ent-
wicklung der US-Aktienmärkte der gesunde Privat-
sektor ist, und zeigte auf, dass die Verschuldung der
durchschnittlichen US-Haushalte im Verhältnis zum
BIP immer noch zurückgeht.
2. EU & UK: Warum verlangsamt sich die
Erholung?
Die Eurozone ist anfälliger für die verschärfte Geld-
politik als die USA, sagte Greenwood: „Das Kreditwachstum
im Euroraum ist schwach auf der Brust,
was zu einem niedrigen Geldmengenwachstum
führt.“ Die Kreditvergabe der Banken sei nach wie
vor auf einem niedrigen Niveau, auch wenn die EZB
seit 2015 eine expansive Politik betrieben habe. Für
Grossbritannien ist Greenwood recht optimistisch:
„Ich sehe keine grosse Inflationsgefahr, sobald der
Brexit auf dem Weg ist, und das niedrige
Wirtschaftswachstum ist vorübergehend.“
3. EM & China: Schulden oder Schuldenabbau?
Laut Greenwood ist der Konjunkturzyklus in den
Schwellenländern tendenziell kürzer und ausge-
prägter als in den Industrieländern. Doch sind
Länder wie Argentinien und die Türkei nicht das
Opfer unglücklicher Umstände, etwa des starken
US-Dollars und der steigenden Zinsen in den USA?
„Beide Länder sind vor allem Opfer ihrer eigenen
Fehler und leiden unter selbstverschuldeten
Schmerzen“, so Greenwood. Argentinien zum
Beispiel habe die breite Geldmenge massiv erhöht.
Zwischen 2016 und 2018 sei M3 um durchschnittlich
36% pro Jahr gestiegen.
„Argentinien und die Türkei sind vor allem Opfer ihrer eigenen Fehler.“
Aktien als Outperformer
Unter dem Strich erwartet Greenwood, dass sich Aktien und Immobilien nach dem Ende der
Zinserhöhungen weiterhin überdurchschnittlich entwickeln werden. Zugleich rechnet er bei Anleihen
mit Gegenwind, wobei die Kreditausfälle niedrig bleiben sollten.
Dies sind Prognosen, die Investoren vielleicht im
Hinterkopf behalten sollten.
„Auch bei steigenden Zinsen können die Aktienmärkte weiter zulegen.“
Ausgewählte Fragen von EYES ON 2019 Gästen: